Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Finanzgericht Berlin-Brandenburg
Beschluss verkündet am 08.08.2007
Aktenzeichen: 11 V 11178/07
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 35
InsO § 38
InsO § 143
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Berlin-Brandenburg

11 V 11178/07

Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO) - Einkommensteuer 2003 und 2004

In dem Verfahren

....

hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg - 11. Senat - am 08. August 2007

durch

den Richter am Finanzgericht ...,

den Richter am Finanzgericht ...,

den Richter am Finanzgericht ...

beschlossen:

Tenor:

Die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide für 2003 vom 20.03.2007 und für 2004 vom 08.05.2007 wird bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer abschließenden Entscheidung über die dagegen erhobenen Einsprüche in Höhe von 5955,71 EUR für 2003 und in Höhe von 586,81 EUR für 2004 ausgesetzt.

Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

Gründe:

Die Antragstellerin wurde durch den Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens des Amtsgerichts A. vom .. .. 2002 - ... - zur Insolvenzverwalterin über das Vermögen des Herrn X., Inhaber der Firma Y., bestellt. Im Rahmen der Insolvenzverwaltung verfolgte sie Anfechtungsansprüche und zog das durch die anfechtbaren Rechtshandlungen Erlangte zurück zur Masse.

Mit Bescheid vom 20.03.2007 setzte der Antragsgegner für das Vermögen des Herrn X. gegenüber der Antragstellerin die Einkommensteuer 2003 fest. Die Steuerforderung wurde so aufgeteilt, dass ein Betrag von 5.955,71 EUR als Masseverbindlichkeit behandelt wurde, da die Entstehung dieser Steuerbeträge rechtlich aus insolvenzbehafteten Einkünften resultiere und zeitlich nach Eröffnung des Verfahrens erfolgt sei. Entsprechend wurde mit Bescheid vom 08.05.2007 die Einkommensteuer 2004 in Höhe von 586,81 EUR als Masseverbindlichkeit gefordert.

Die Antragstellerin legte gegen diese Bescheide am 11.04.2007 und 11.05.2007 Einsprüche ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Die Aussetzung der Vollziehung wurde vom Antragsgegner mit Bescheid vom 31.05.2007 für beide Streitjahre abgelehnt.

Am 19.07.2007 hat die Antragstellerin die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung beantragt. Zur Begründung führt sie aus, streitig sei die Zuordnung von Geldzuflüssen im Rahmen der Durchsetzung und des Einzugs von Anfechtungsansprüchen zu den Betriebseinnahmen im Rahmen der Insolvenzverwaltung des Vermögens, insbesondere, ob diese Zuflüsse im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung zu Masseverbindlichkeiten führen können. Ergänzend trägt sie vor, der Geschäftsbetrieb sei bereits am 31.05.2002 und damit vor Verfahrenseröffnung eingestellt worden. Durch die Fortführung des Gewerbes könnten daher keine einkommensteuerrechtlichen Tatbestände ausgelöst werden. Im übrigen komme es nicht auf die Frage der Fälligkeit des anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruchs, sondern darauf an, dass der der Anfechtung zu Grunde liegende Lebenssachverhalt vor Verfahrenseröffnung bereits vollständig verwirklicht sei.

Die Antragstellerin beantragt,

die Vollziehung der Bescheide über Einkommensteuer 2003 und 2004 vom 20.03.2007 und 08.05.2007 auszusetzen, soweit sich die Ansprüche gegen die Insolvenzmasse richteten, mithin in Höhe von 5.955,71 EUR für 2003 und in Höhe von 586,81 EUR für 2004.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er ist der Auffassung, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei Voraussetzung für die Anfechtung. Aufgrund der Anfechtung seien der Antragstellerin in den Kalenderjahren 2003 und 2004 außerordentliche Erträge in Höhe von 26.851,94 EUR bzw. 5.459,58 EUR zugeflossen. Diese Beträge seien in den ursprünglich eingereichten Gewinn- und Verlustrechnungen für 2003 und 2004 auch als Betriebsausgaben berücksichtigt worden. Eine abweichende Gewinnermittlung ohne die Einnahmen aus Anfechtungsansprüchen komme nicht in Betracht. Die Antragstellerin ermittle den Gewinn nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Für diese Gewinnermittlungsart gelte das Zu- und Abflussprinzip, so dass die zugeflossenen Einnahmen aus den Anfechtungsansprüchen als Ertrag zu erfassen seien. Der entsprechende Betriebsausgabenabzug sei zutreffend bereits in den Zeiträumen des tatsächlichen Abflusses gemäß § 11 Abs. 2 EStG berücksichtigt worden. Der Rechtsgrund für die Vereinnahmung von Anfechtungsansprüchen sei erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelegt worden und nicht vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Zu den Masseforderungen des Finanzamts gehörten u.a. insbesondere die Einkommensteuer, die durch die Fortführung des Gewerbebetriebs entstehe.

Der Antrag ist zulässig und begründet.

Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Finanzgericht die Vollziehung eines angefochtenen Bescheides ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsaktes neben Umständen, die für die Rechtmäßigkeit sprechen, gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unsicherheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (Bundesfinanzhof [BFH] , Beschluss vom 05.04.2005 - I B 221/04 -, Bundessteuerblatt II [BStBl II] 2005, 526). Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (BFH, Beschluss vom 04.10.2005 - II B 29/05 -, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH [BFH/NV] 2006, 123). Eine überwiegende Erfolgsaussicht des Rechtsmittels ist für die Aussetzung der Vollziehung nicht erforderlich (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Beschluss vom 15.12.2000 - IX B 128/99 -, BStBl II 2001, 411, m.w.N.). Dies zugrunde gelegt bestehen im Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Einkommensteuerbescheide.

Insolvenzrechtlich sind persönliche Verbindlichkeiten, die der Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens "begründet" hat, Insolvenzforderungen. Damit sind Einkommensteuerforderungen, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind, Insolvenzforderungen nach § 38 der Insolvenzordnung (InsO). Persönliche Verbindlichkeiten, die der Insolvenzverwalter verursacht, sind vorweg aus der Masse als Masseverbindlichkeiten zu begleichen. Zu den Masseverbindlichkeiten gehören insbesondere die Verbindlichkeiten, die durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden (vgl. Frotscher, Besteuerung bei Insolvenz, 5. Aufl. 2000, 2. Teil, A. II. 1., S. 65). In der Rechtsprechung wird davon ausgegangen, dass es sich bei der die Verwertung der Insolvenzmasse betreffenden Einkommensteuer um Masseverbindlichkeiten handelt.

Begründet im Sinne des § 38 InsO ist der Anspruch dann, wenn im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Schuldverhältnis bereits besteht und der schuldrechtliche Grund bereits geschaffen ist; dann geht die später entstehende Forderung auf das vorinsolvenzliche Verhalten des Schuldners zurück und ist als Insolvenzforderung einzuordnen. Nur der Schuldrechtsorganismus, der die Grundlage der Forderung bildet, nicht die Forderung selbst, muss vor Insolvenzeröffnung geschaffen sein (Frotscher, a.a.O., 2. Teil, A. I. 1., S. 55). Für die Behandlung von Steueransprüchen ergibt sich daraus, dass eine Steuerforderung immer dann Insolvenzforderung ist, wenn der zu Grunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt, der zu der Entstehung der Steueransprüche führt, vor Insolvenzeröffnung verwirklicht worden ist (Bundesfinanzhof [BFH] , Urteil vom 21.09.1993 - VII R 119/91 -, Bundessteuerblatt II [BStBl II], 1994,83; BFH, Beschluss vom 23.04.2007 - VII B 310/06 -, n. v., m.w.N.). Ohne Bedeutung ist, zu welchem Zeitpunkt hieraus Steueransprüche entstehen.

Ist dieser Sachverhalt vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden, besteht eine vermögensmäßige Beziehung zu der vorinsolvenzlichen Masse, nicht zu dem Handeln des Insolvenzverwalters. Der nach § 35 InsO abgegrenzten Insolvenzmasse ist die Schuldenmasse nach § 38 InsO in der Weise zugeordnet, dass diese Masse die Haftungsgrundlage für diese Schulden bildet. § 38 InsO nimmt die Zuordnung einzelner Ansprüche zu dieser Schuldenmasse in der Weise vor, dass auf Grund wertender Betrachtung zu entscheiden ist, ob der Anspruch eine solche Beziehung zu dem vorinsolvenzlichen Vermögen aufweist, dass es gerechtfertigt ist, diesen Anspruch (nur) aus diesem Vermögen als Haftungssumme zu befriedigen. Das ist der Fall, wenn vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Sachverhalt eingetreten ist, der eine sachliche und vermögensmäßige Verbindung zwischen dem (später entstehenden) Anspruch und der vorinsolvenzlichen Vermögensmasse herstellt. Die vorinsolvenzliche Vermögensmasse muss wirtschaftlich schon mit dem später entstehenden Anspruch "belastet" sein. Es kommt nur auf diese wertende, sachlich-vermögensmäßige Beziehung zu der vorinsolvenzlichen Vermögensmasse an, nicht aber darauf, wie, wann und auf Grund welcher Tatbestandsverwirklichung Steueransprüche entstehen (Frotscher, a.a.O., 2. Teil, A. I. 1., S. 56).

Hiervon ausgehend liegt die "Begründung" des Steueranspruchs nicht in der Anfechtungshandlung der Antragstellerin. Vielmehr ist dieser bereits vor Insolvenzeröffnung insolenzrechtlich begründet worden und lediglich aufschiebend bedingt abhängig von der Einkunftserzielung in Gestalt der insolvenzrechtlichen Rückgewähr. Schon mit der Vollendung eines Anfechtungstatbestandes ist aufschiebend bedingt durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Anfechtungsrecht des Insolvenzverwalters entstanden (vgl. Kirchhof, in Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung Bd. 2, 2002, § 129 Rn. 186, § 143 Rn. 9). Durch Ausübung der Anfechtungsbefugnis, die kein Gestaltungsrecht, sondern die Geltendmachung der Rechtsfolgen aus der Anfechtbarkeit bedeutet (Kirchhof, a.a.O., § 129 Rn. 194), wird die Rückgewährverbindlichkeit im Sinne von § 143 InsO begründet, auf deren Grundlage das durch die anfechtbare Handlung des Schuldners Veräußerte, Weggebene oder Aufgegebene zurückgewährt werden muss; die Rückgewähr hat zur Insolvenzmasse zu erfolgen, § 143 InsO. Damit besteht eine insolvenzrechtliche Verbindung der vorinsolvenzrechtlichen Vermögensmasse mit dem später entstehenden Steueranspruch, der folglich nur die Insolvenzmasse belasten kann. Zu Unrecht hat der Antragsgegner daher die Steuerforderungen als Masseverbindlichkeiten angesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Beschwerde ist nach §§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen worden.



Ende der Entscheidung

Zurück